Schaffe ich das? Bergtour auf den Mont Blanc

Mit offenen Augen liege ich im Lager. Von Müdigkeit ist keine Spur. Ich wälze mich unruhig hin und her. Um mich herum höre ich gleichmäßiges Atmen. Bin ich die einzige, die keinen Schlaf findet? Bin ich die einzige, die sich fragt, ob sie der bevorstehenden Herausforderung gewachsen ist? Die einzige, die unsicher ist, auf den Mont Blanc hoch und wieder runter zu kommen? Und wieder knarrt das Bett, während ich mich auf die Seite drehe, um nach dem Handy zu Greifen. Ein Blick auf die Anzeige verrät, dass es bereits 23:00 Uhr ist. Um 1:00 Uhr gibt es Frühstück. Und ich liege da. Mit aufgerissenen Augen und pochendem Herzen.

Aufbruch ins Ungewisse

Ich habe beim Frühstücken kaum etwas herunterbekommen. Die Übelkeit hält auch beim Anlegen der Steigeisen noch an. Der Bergführer mahnt zu Eile. Einige Seilschaften sind bereits losgezogen. In der Schwärze der Nacht sind sie nur noch als kleine, tanzende Lichter in der Ferne auszumachen. Wir marschieren zu dritt los. Das Tempo ist scharf. Die ersten Bergsteiger haben wir schon bald eingeholt und schließen an der schon bekannten Flanke des Mont Blanc du Tacul auf weitere auf.

Stau an der Schlüsselstelle

Nach einer kurzen Pause am Kamm steigen wir ins Col du Maudit ab, bevor wir den steileren Anstieg zum Mont Maudit in Angriff nehmen. Mittlerweile gehen wir dicht hinter fünf weiteren Seilschaften. In Serpentinen bahnen wir uns den Weg durch den noch frischen Schnee. Ich schnaufe schwer. Es ist anstrengend, aber noch geht es mir gut. Die Temperaturen liegen weit unter dem Gefrierpunkt. Richtig kalt wird es erst, als wir gezwungenermaßen stehenbleiben. Vor uns tut sich die Schlüsselstelle auf. Eine Eisflanke mit 55 Grad zwingt die vorausgehenden Seilschaften zum Anhalten. Wir stehen an. Nur Bruchteile später hat die Kälte vom Körper Besitz ergriffen.

Eiskalte Umgebungsluft

Wenige Minuten später schraube ich zitternd die Thermoskanne auf. Ich wärme die Hände am Dampf des heißen Tees, versuche die Zehen in Bewegung zu halten und federe leicht mit den Knien. Viel Platz habe ich für meine Übungen nicht. Links von mir ist der Berg, rechts geht es steil bergab. Wir warten. Meditativ ziehe ich mich in meinen Kopf zurück. Bereite mich auf die bevorstehende Eisflanke vor. Von oben bröselt immer wieder Eis auf uns herunter. Ein Stück in der Größe eines Tennisballs fliegt haarscharf an meinem Gesicht vorbei. Ich drehe mich um. Blicke in die Ferne. Der Himmel verfärbt sich langsam rot. Bald geht die Sonne auf.

„Achtung, Eis!“

Mit den ersten Sonnenstrahlen erklimmen wir die Eisflanke. In der Wand sind Fixseile befestigt. Konzentriert trete ich die Steigeisen in die Wand. Meine Zehen sind steifgefroren. Die Hände auch. Bei jedem Einsatz des Pickels prickeln die Finger. Bloß nicht loslassen, mahne ich mich. Nicht loslassen. Ich konzentriere mich auf den Griff um das Eisgerät und steige weiter nach oben. Wir sehen den Grat. Endlich! „Achtung, Eis!“ heißt es plötzlich. Zahlreiche Stücke fallen herunter. Ich presse mich dicht an die Wand. Ein größerer Eisbrocken trifft auf meine Hand. Den Schmerz spüre ich kaum. Ich habe kein Gefühl mehr in den Händen.

Ziel in Sicht!

Ich lasse die Arme kreisen. Versuche Blut in die Finger zu bekommen, während wir über den Grat zum Mont Maudit spazieren. Dahinter leuchtet der Mont Blanc in der wärmenden Morgensonne. Wir sehen den Gipfel. Gleich geschafft. Dachte ich. Schritt für Schritt kämpfen wir uns die restlichen 400 Höhenmeter durch frischen Tiefschnee in Serpentinen nach oben. Wir sind langsam. Der Gipfel kommt kaum näher. Ich schnaufe. Hab keine Luft mehr in den Lungen. Ich senke den Blick. Schaue meinen Füßen zu. Versuche die Entfernung auszublenden und stimme in meinem Kopf ein Lied an.

LTE-Empfang am Gipfel

Eine gefühlte Ewigkeit später, um kurz nach acht, erreichen wir den höchsten Punkt auf 4.810 m. Wir liegen gut in der Zeit. Um spätestens 9:00 Uhr hätten wir die Rückkehr angetreten. Ich schnaufe. Umarme meine Bergpartner. Und zücke dann das Handy. Meine kühlen Fingerkuppen berühren das Display. Da stehe ich also am Gipfel des Mont Blanc und habe nichts besseres zu tun, als zu telefonieren. Ich aktiviere die Kamera: „Hi Papa, ich hab’s geschafft. Ich stehe auf dem höchsten Berg der Alpen.“

Kaum zu glauben

Er schaut mich sichtlich perplex an und kann kaum glauben, dass ich ihn gerade wirklich anrufe. Mir geht es ähnlich. Ich kann es auch noch nicht glauben. Alles wirkt so weit weg von mir. Erst beim Abstieg wird mir mehr und mehr bewusst, dass ich eben wirklich oben war. Dass ich es tatsächlich geschafft habe. Dass ich mir selbst bewiesen hab, dass ich es kann. Ich schlucke. Bin überglücklich. Die Emotionen nehmen Überhand, überdecken die Anstrengung und tragen mich das erste Stück nach unten. Geschafft. Das ist das einzige Wort, das in meinem Kopf kreist. Geschafft!

3 Kommentare zu „Schaffe ich das? Bergtour auf den Mont Blanc

  1. Daumen hoch und Gratulation, das muss ein großartiges Erlebnis gewesen sein! 🙂 Dieses frühe Aufstehen finde ich ja den grausamsten Teil an der Sache, aber ich habe jetzt gesehen, dass man theoretisch auch erst ausschlafen kann und dann vielleicht so nach einem guten Frühstück um 8 losgehen, wenn die ersten langsam zurückkommen. Vom Tal aus. Einmal ganz hoch und gegen 15:00 zur Kaffeezeit wieder zurück im Tal. Wenn man denn so schnell ist wie er: https://www.youtube.com/watch?v=xZ_wZNxEp5k Unfassbar!

    1. Danke – für mich war es eines der größten Erlebnisse, die ich bisher am Berg hatte. ich habe wirklich lange gebraucht, um zu kapieren, dass ich ganz oben stand. Das hätte ich mir vor noch gar nicht so langer Zeit nicht zugetraut. 🙂

      Ach wie crazy!!!!! 😀 Das ist ja verrückt. Aber starke Leistung!

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