5/101: Wanderung durch die Hohe Tatra zur Gerlsdorfer Spitze

Die Hohe Tatra kannte ich bisher nur von Bildern. Noch nie zuvor hab ich einen Fuß in das Grenzgebirge zwischen der Slowakei und Polen gesetzt. Das hat sich geändert. Ich stand sogar auf dem höchsten Berg der Slowakei, auf der Gerlsdorfer Spitze. Danach musste es schnell gehen. Ein Gewitter zog plötzlich auf. Und wird wohl nachhaltig in Erinnerung bleiben.

Lange Anreise, kein Problem

Die Autofahrt zieht sich. Knapp 7 Stunden verkündet das Navi, als wir aus Dresden losfahren. Ganz schön lange, denke ich. Aber die Vorfreude macht das Gefühl wieder wett. Außerdem ist ja alles neu. Selbst die Fahrt durch ganz Polen ist spannend. Die Landschaft ist unbekannt. Die Architektur ganz anders als gewohnt.

So vergeht die lange Fahrzeit gefühlt viel schneller. Dann passieren wir die Grenze in Richtung Slowakei. Es dämmert mittlerweile. Aber am Horizont tauchen die ersten großen Berge auf. Da liegt sie: Die Hohe Tatra. Ein Teil der Karpaten.

Schroff zeichnen sich die Berggipfel vor dem düster werdenden Abendhimmel ab. Ich kann meinen Blick nicht mehr davon lösen. Versuche noch mehr zu erahnen, mehr zu erkennen. Aber dafür muss ich mich wohl bis zum nächsten Morgen gedulden, denn das Licht schwindet immer weiter. Düster wirkt es deshalb aber noch lange nicht. Dafür sorgen die beleuchteten Hotels, an denen wir vorbeikommen. Das wirkt jetzt gar nicht mehr so unbekannt. Die teils sehr großen Hotelanlagen sind mit Lichterketten dekoriert und erinnern damit an einen österreichischen Skiort zur Weihnachtszeit.

Brauchen wir Bären-Abwehr-Spray?

Am nächsten Morgen hängen Nebel zwischen den Gipfeln. Trotzdem sieht man viel mehr. Es ist tatsächlich schroff. Zumindest in den oberen Regionen, weiter unten gibt es hingegen riesige Waldflächen. Vegetationsmäßig ist es den Alpen also recht ähnlich. Die Tierwelt unterscheidet sich jedoch. So sollen hier mehrere hundert Bären hausen.

Bei Vorabrecherchen kamen wir darauf, dass eine Bärenglocke von Vorteil sein könnte. Damit sei man gut hörbar unterwegs und der Bär könne rechtzeitig den Rückzug antreten. Auch von Bären-Abwehr-Spray ist die Rede. Im Prinzip ist das nichts anderes als Pfefferspray und soll den Bär, sollte er doch mal zu nah kommen, in die Flucht schlagen. Wir haben nichts von alledem. Und sind zwiegespalten: Einen Bär zu sehen, wäre schon eine Ehre. Aber bitte nur aus der Ferne.

Berghütte, oder doch eher Berghotel?

Wir übernachten im Slieszky Dom, einem Berghotel auf 1.670 m Höhe. Direkt daneben liegt ein großer See. Dahinter plätschert ein Wasserfall nach unten. Das Hotel ist hier weit und breit das einzige. Die Auffahrt mit dem Auto ist nur mit einer speziellen Genehmigung gestattet, da es sich mitten im Nationalpark befindet. Ansonsten bringt ein Shuttleservice die Gäste nach oben.

Meine Erwartungshaltung an slowakische Hotels war wohl nicht sonderlich hoch. Zumindest war ich mehr als positiv überrascht. Großzügige, moderne Zimmer, gute Küche und ein ausgezeichnetes Frühstücksbuffet haben mich sofort überzeugt. Ja, das Frühstück ganz besonders. Schade eigentlich, dass wir am nächsten Morgen schon so früh aufbrechen mussten. Ich hätte mir gerne mehr Zeit gelassen, um mich durch all die Obstsorten, die Waffeln und die Auswahl an Wurst und Käse zu probieren.

Was mich nicht ganz so überzeugt, ist der Kaffee. Als Liebhaberin der braunen Bohne bin ich da zugegebenermaßen kritisch. Aber ohne den morgendlichen Kaffee fehlt es mir an Motivation und auch meine Kommunikationsfähigkeit wird stark eingeschränkt. Darauf zu verzichten ist also keine Option.

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Übernachtet haben wir im Slieszky Dom auf 1.670 m Höhe.

Früher Start, langer Aufstieg

Dann geht’s los. Zuerst über am Seeufer entlang, vorbei am Wasserfall und dann schon bald steil bergauf. Die Markierung des Weges hört auf. Weiter geht es durch Geröllfelder auf eine steile Wand hinzu. Das ist einer der Gründe, warum der Aufstieg nicht ohne Guide gestattet ist. Piotr, ein polnischer Bergführer, begleitet uns. In diesem Teil des Nationalparks soll zum einen die Natur geschützt werden, zum anderen ist der Aufstieg nicht ganz ungefährlich.

Wir legen die Ausrüstung an. Klettergurt, Kletterseil und Helm sind im Gepäck. Es gibt Kletterstellen im II. Schwierigkeitsgrad zu überwinden. Weiter geht’s angeseilt. Steil bergauf, mit Tiefblick an der Bergflanke eines Nebengipfels entlang und schließlich weiter nach oben. Insgesamt gilt es 1.000 Höhenmeter zu bewältigen. Um uns herum ziehen Nebelschwaden. Der Wind bläst teilweise aus gefühlt allen Himmelsrichtungen und beim Pausieren wird es schnell kalt.

Aussichtsreich zum Gipfel

Der Gipfel rückt in Sichtweite. Aber das heißt nicht, dass es einfacher wird. Im Gegenteil. Das schwierigste Stück steht uns noch bevor. Es geht nochmal steil nach oben. Meine Hände und Füße suchen nach Halt am Fels. Dann strecke ich meinen Kopf über den Grat hinweg. Auf der anderen Seite geht es steil nach unten. Puh. Krass. Da muss ich nun hoch. Das Ziel ist wirklich nicht mehr weit, aber jetzt muss ich mich hier nochmal konzentrieren. Ich halte mich fest, stemme mich hoch und richte mich langsam auf. Einen Fuß vor den anderen setzend lege ich die letzten Meter zurück.

Das ist eindrucksvoll. Das ist hochalpin. Das ist nichts für schwache Nerven. Piotr schlingt das Seil um das Gipfelkreuz, während ich mich noch langsam nähere. Dann hebe ich endlich den Blick. Klatsche in die ausgestreckten Hände von Felix und Piotr und entspanne mich. Ich recke eine Hand in die Höhe. Tätschle über das Gipfelkreuz und da breitet sich nun auch das Grinsen aus.

Von hier oben sollten wir eigentlich die gesamte Hohe Tatra, von der Slowakei bis nach Polen, überblicken können. Davon sehe ich nicht viel. Der Nebel verdichtet sich. Ob wir noch warten sollen? Ob sich das lohnt? Verziehen sich die Wolken dann wieder?

Gewitterwarnung!

Wir entscheiden uns gegen das Warten und steigen ab. Zum Glück, muss man sagen. Der Weg bergab ist im oberen Teil noch durchaus anspruchsvoll. Die Passagen meistern wir konzentriert und ohne Hektik. Weiter unten ist es dann vorbei mit der Ruhe. Piotr bekommt einen Anruf. In Zakopane, auf der polnischen Seite der Hohen Tatra, sei ein Gewitter eingezogen. Mehrere Menschen seien vom Blitz getroffen. Das Unwetter ziehe weiter in Richtung Berge hinein.

Wir beschleunigen unseren Schritt. Meine Atmung geht gleichmäßig, ich schaue konzentriert auf den Weg, um nicht zu stolpern. Dann der nächste Anruf: „Run, Piotr, run!“. Das Gewitter kommt näher. Es gab neue Nachrichten, neue erschreckende Szenarien, die uns mitgeteilt werden. Auch hier hören wir das erste Donnergrummeln. Eine halbe Stunde noch bis zur Hütte. Geht sich das aus?

Fazit

Wir schaffen es rechtzeitig zurück zum Hotel und bringen uns in Sicherheit. Die Nachrichten zeugen davon, dass es nicht jeder geschafft hat. Über 100 Menschen sind durch das Unwetter verletzt worden. Es gab sogar Tote. Morgens war das noch nicht angekündigt. Das Gewitter ist plötzlich hineingezogen.

Für mich war das wieder eine Warnung: Die Berge sind unberechenbar. Und auch das Wetter ist unberechenbar. Wir hatten Glück. Aber wir sollten die Kraft der Natur niemals unterschätzen. Ich bin erleichtert, werde aber zukünftig mit noch mehr Vorsicht nach draußen gehen. Nicht mit Angst oder in ständiger Sorge, dass was passieren könnte. Aber dennoch mit Respekt vor dem Unvorhersehbaren.

Ein Kommentar zu „5/101: Wanderung durch die Hohe Tatra zur Gerlsdorfer Spitze

  1. Das war ja interessant! Außer dem Namen wusste ich bisher nichts über die Hohe Tatra. Mal was anderes und sieht wirklich eine Reise wert aus! Danke für diesen spannenden und lebendigen Eindruck der Region! 🙂

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