Höhenangst! Zitternd auf die Staumauer

Ich bin nicht schwindelfrei. Umso genauer bin ich meist bei der Tourenplanung. Ohne entsprechende Vorbereitung, ohne das Wissen, dass ich mir die schwierigsten Stellen zutraue, gehe ich nicht in die Berge. Auch die Tagesform spielt eine Rolle. Je nach Verfassung fallen mir bestimmte Passagen einfacher als andere. Diesmal hat mich meine Höhenangst überrumpelt. Aber auch daraus kann man lernen …

Die Aufregung steigt

Ich hebe den Blick. Stehe vor der großen Staumauer des Mooserbodenstausees. Mobo107 ist der Name des Klettersteigs oberhalb von Zell am See-Kaprun. Der Wall erhebt sich 107 Meter in die Luft. Das Ende kann ich nicht sehen. Dort hängt Nebel. Ob das wohl beruhigend ist? Nicht ganz. Stattdessen spüre ich das Ziehen in der Magengegend und wische die feuchten Handflächen an der Hose ab. Mir ist mulmig zumute. Aber von nichts kommt nicht, oder? Man soll sich seinen Ängsten ja manchmal stellen und technisch soll der Steig nicht allzu herausfordernd sein.

Länge:400 m
Höhenmeter:107 m
Schwierigkeit:B/C

Klettersteigset und Helm werden angelegt. Dann blicke ich auf meine Schuhe. Ich wünschte, ich hätte Schuhe mit einer steifen Sohle eingepackt. Nicht die Sneaker, die ich hier gerade an den Füßen habe. Das wird mir beim nächsten Mal nicht mehr passieren. Dann streife ich die Handschuhe über, atme tief ein und verkünde, dass ich bereit bin.

Die Zipline

Los geht’s mit einer Zipline. Okay, das ist doch gar nicht so schlimm, denke ich. Den Karabiner hänge ich in die Anseilschlaufe des Klettergurts ein. Dann gehe ich ein paar Schritte zurück, um Anlauf zu nehmen. Mit Schwung schaffe ich es über die Hälfte der Distanz zurückzulegen. Den Rest muss ich anfassen und mich rüberziehen. Aber das ist kein Problem. Der Teil des Klettersteigs macht mir noch Spaß. Dann wird es ernst.

Aussicht? Welche Aussicht?

Entgeistert blicke ich auf die kleinen Tritte vor mir in der Wand. Von weiter weg waren nur die großen Leitern und Trittbügel sichtbar. Das hier sind vielmehr Minitritte aus der Kletterhalle. Und teilweise sind die so weit voneinander entfernt, dass es mir schwer fällt, sie beim nächsten Schritt zu erreichen. Immer wieder muss ich meine Sohle feste gegen die Mauer pressen und so die Strecke zwischen zwei Tritten überwinden. Schweiß läuft den Rücken runter. Die Adern in meinem Kopf pulsieren. Das fordert mich richtig heraus.

Weiter oben wird es natürlich nicht besser. Ich mahne mich zur Ruhe. Sage mir mantramäßig vor, dass ja gar nichts passieren kann. Das hilft nur bedingt. Ich habe mich schon längst reingesteigert und es fällt mir schwer, überhaupt weiterzugehen. Aber stehenbleiben ist ja keine Lösung. Eine besonders hohe Stufe lässt mich verzweifeln. Hier geht es beinahe senkrecht nach oben weiter.

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Ihr habt kein Problem mit der Höhe? Dann schaut euch den Mobo107 mal genauer an.

Das Drama kommt zum Höhepunkt

Je mehr ich versuche mich zu konzentrieren, je weiter ich meine Grenzen verschieben möchte, umso verkrampfter werde ich. Dann kippt die Stimmung auch emotional. Ich bin nah am Wasser gebaut. Bei mir öffnen sich in Stresssituationen alle Schleusen. So auch jetzt. Tränen kullern mir über die Wangen. Vor Wut darüber wische ich sie mir aus dem Gesicht. Das kann ich ja jetzt gar nicht gebrauchen!

Aber weder Stress noch Wut tragen dazu bei, dass ich mich besser fühle. Im Gegenteil. Die Wand wird immer steiler. Die Geduld droht zu zerreißen. Aber auch der Ausstieg ist in Sichtweite. Eine Drahtseilbrücke gilt es noch zu überwinden. Mit wackligen Beinen balanciere ich über das schmale Drahtseil. Zum Glück ist das das letzte Hindernis. Die Bewegungen fallen mir schwer.

Fester Boden, danke!

Dann hab ich es geschafft. Unter meinen Füßen spüre ich festen Boden. Grashalme biegen sich zur Seite. Die feuchte Erde gibt ein bisschen nach. Das Gefühl könnte kaum schöner sein. Ich spüre zum ersten Mal richtig wie ich zittere. Und ich spüre, wie unsicher ich auf zwei Beinen stehe. Ich bin heilfroh, dass ich oben bin. Aber ich habe es geschafft! Siegreich recke ich einen Arm in die Höhe. Yes! Hier stehe ich. Völlig aufgelöst, aber am Ende des Tages doch irgendwie als Siegerin.

Hätte ich „nein“ sagen sollen?

Ich habe wieder einiges über mich gelernt. Am Ende bin ich zwar hochgekommen, aber es war kein angenehmer Sieg. Es war eine Stresssituation, die mich überfordert hat. Rückblickend hätte ich vorher auf mich und mein Bauchgefühl hören sollen. Ich hätte darauf hören sollen, dass ich mich mental an diesem Tag sowieso nicht sonderlich stark gefühlt habe. Ich hätte darauf hören sollen, dass die Wetterbedingungen das ganze nochmal schwieriger aussehen lassen. Ich hätte darauf hören sollen, dass ich mich nicht komplett vorbereitet fühle.

Ich hätte wohl einfach „nein“ sagen sollen, als wir vor der Mauer standen. Nein, das liegt mir heute nicht. Nein, ich traue mir das gerade nicht zu. In dem Fall bin ich zwar hoch gekommen. Beim nächsten Mal weiß ich aber auch, dass ich früher „nein“ sagen darf/kann und sogar früher „nein“ sagen muss. Das war also die Lektion, die ich mit nach Hause nehmen kann. In der Situation vielleicht nicht ganz ruhmreich, aber für zukünftige Abenteuer bestimmt ein wichtiges Learning …

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Ein Kommentar zu „Höhenangst! Zitternd auf die Staumauer

  1. Ich glaube, so eine völlig strukturlose Wand ist wirklich der Albtraum für jemanden mit Höhenangst; das ist übler als 1800 Meter Eiger-Nordwand, wo es viele Felsvorsprünge, verschiedenfarbige Felsformationen, Schneefelder, etc. und dadurch noch einigermaßen ein Gefühl für Höhe gibt. Bei mir käme noch dazu, dass mir hinter Staumauern immer mulmig ist. Die Vorstellung, dass direkt dahinter Millionen Kubikmeter Wasser sind, die heftig drücken und am liebsten raus wollen, lässt mich immer ein bisschen schneller gehen. Ist dieser dunkle Streifen auf der Mauer nicht ein Riss? War der eben schon da? Hat es nicht gerade geknackt? 🙂

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