Innsbrucker Klettersteig: Gratwanderung über den Dächern von Innsbruck

Unter mir liegt die Stadt. Weit unter mir. Fast 2.000 Höhenmeter trennen mich von den Häusern, die ich da im Tal ausmache. Ganz schön viel. Und es geht auch ganz schön steil hinab. Gesichert durch das Klettersteigset setze ich am Grat der Nordkette vorsichtig einen Schritt vor den anderen. Und ja, ich genieße jeden einzelnen Moment.

Die Sache mit dem Wetter

An der Hungerburg in Innsbruck werfe ich einen kritischen Blick in Richtung Himmel. Wolken. Überall Wolken. Und die hängen so tief, dass nicht einmal die Nordkette frei ist. Dort möchte ich aber jetzt hinauf. Schließlich will ich den Innsbrucker Klettersteig gehen und der führt genau am Grat der Nordkette entlang. Das Bergbahnticket ist schon gelöst. Hochfahren kann ich jetzt also eh. Vielleicht verziehen sich die Wolken ja noch.

An der Station Seegrube kommen wir mit Mitarbeitern der Mountain Base in Kontakt. Hier könnt ihr Klettersteigsets ausleihen, oder auch geführte Touren buchen. Wir sprechen übers Wetter. Nicht des Smalltalks wegen, sondern weil die Wolken gefühlt noch tiefer gesunken sind. „Wartet besser noch ein bisschen,“ ist der Tenor. Über Nacht habe es geregnet. Dort, wo jetzt noch keine Sonne hinkam, sei es dann noch rutschig. Außerdem sei es nicht immer leicht den Weg im Nebel zu finden.

Gesagt, getan. Mit einem Kaffee setzen wir uns also nochmal gemütlich auf die Terrasse. Checken den Wetterradar am Handy und die Webcams, die oben angebracht sind. Als sich dort die Sonne blicken lässt, ist die Entscheidung gefallen. Los geht’s. Wir können aber nicht von hier starten, sondern müssen noch weiter hinauffahren. An der Station Hafelekar ist der Einstieg.

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Scheitere ich schon gleich am Anfang?

Und tatsächlich. Als wir aus der Seilbahn aussteigen, scheint die Sonne. Wir haben einen großartigen Blick über Innsbruck. Halten uns damit aber nicht zu lange auf, denn den Blick sollten wir so weiterhin haben. Und mittlerweile zeigt die Uhr schon Mittagszeit an. Laut Tourenbeschreibung sollen für den Klettersteig insgesamt 5 Stunden eingeplant werden.

10 Minuten Fußweg später lege ich die Kletterausrüstung an. Gurt, Helm und Handschuhe. Sitzt. Perfekt. Ich lasse die Karabiner des Klettersteigsets in der Handfläche mehrmals auf und zuschnappen. Bin ein bisschen aufgeregt, so äußert sich das dann manchmal. Dann geht’s auf zum Einstieg.

Der Topo zufolge wartet direkt zu Beginn eine der schwierigsten Stellen. Die ersten Meter gehen geradewegs die Wand nach oben und sind mit Schwierigkeit „C“ ausgewiesen. Vor mir kraxeln bereits einige Bergsteiger nach oben. Hinter mir kommt erstmal niemand. Zum Glück. Denn knapp drei Meter über dem Boden fehlt mir ein Tritt. Ich versuche mein Bein noch ein Stückchen weiter hinaufzuziehen. Da wäre ein Felsvorsprung. Doch scheitere. So hoch komm ich nicht. Hm. Scheitere ich etwa schon am Einstieg? Ist das dann nicht das Zeichen, das ich dem ganzen vielleicht nicht gewachsen bin?

Bevor sich diese Gedanken festigen können und mich weiter in die Unsicherheit treiben, atme ich nochmal tief durch. Ich gebe mir Zeit. Scanne den Bereich vor mir mit den Augen sorgfältig ab und finde schließlich den Tritt, nach dem ich gesucht habe. War doch gar nicht so schwer.

Eine Sache der Gewohnheit

Von da an wird es leichter. Die Anspannung fällt ein bisschen ab. Ganz vergesse ich die Höhe und die Ausgesetztheit allerdings nicht. Ich bin konzentriert bei der Sache. Aber fühle mich der Sache eben auch gewachsen. Ein beruhigendes Gefühl. Es geht zuerst weiter steil bergauf. Hände und Füße tasten mittlerweile automatisch nach Einkerbungen am Fels.

Das ist auch ein Phänomen, das ich nahezu immer an mir beobachte. Wenn der Anfang erstmal gemeistert ist, geht es meistens besser. Dann nämlich gewöhne ich mich an die Bewegung. Vertraue dem Fels mehr und mehr. Vertraue mir selbst. Vertraue der Ausrüstung. Jedes Mal aufs Neue muss ich aber erst über den Punkt des Zweifelns drüber hinweg kommen. Dann darf ich nicht hektisch werden. Und dann irgendwann fällt es mir leichter. Viel leichter. Dann kann ich sogar den Kopf manchmal heben und genießen.

So blicke ich auf der einen Seite nach Innsbruck hinab. Die Hausdächer glitzern in der Sonne. Mittlerweile haben sich die schweren Wolken fast komplett verzogen. Zum Glück sind wir doch noch gestartet. Das Wetter ist perfekt für das Erlebnis hier oben. Nicht zu warm, nicht zu kalt. Außerdem ist nicht viel los. Dafür könnten auch die Wolken verantwortlich sein.

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Gipfelglück

Der erste von insgesamt drei Gipfeln ist schon bald erreicht. Wir klatschen ab. Yes. Ich halte mich am Kreuz fest, drehe mich einmal um die eigene Achse und staune. Auf der einen Seite blicke ich weiter in Richtung Karwendel. Die Berge sind schroff und steil. Sie wirken fast wie abgebrochen. Richtig hochalpin sieht das aus. So wild und trotzdem so friedlich, weil alles so naturbelassen wirkt. Hier ist niemand unterwegs.

Auf der anderen Seite lasse ich den Blick über Innsbruck gleiten. Dort unter mir, weit unter mir, liegt die Hauptstadt Tirols. Die Hausdächer glitzern in der Sonne. Das rege Treiben ist nicht zu hören, aber doch zu spüren. Verkehr treibt durch die Straßen. Geschäftiges Tun herrscht in Hauseingängen und Geschäften.

Hier prallen Welten aufeinander. Verrückt, dass es auf der einen Seite so menschenleer und idyllisch ist und auf der anderen das bunte Leben herrscht. Und ich stehe auf dem Grat, der diese Welten trennt. Auf dem Grat der Nordkette. Kurz schließe ich die Augen. Heute entscheide ich mich für das Leben ohne Trubel und Hektik. Heute bin ich hier, ganz im Augenblick. Das ist wohl dieses Bergglück, von dem immer alle reden.

Seilbahn verpasst

Zwei weitere Gipfel warten. Der Weg zieht sich. Wird aber nie langweilig. Schließlich rückt das Ziel in Sichtweite. Da ist das Gipfelkreuz der Kernacher auf 2.480 Meter. Wir haben den Klettersteig gemeistert. Zumindest fast. Denn jetzt wartet noch der Abstieg. Und der sollte sich ganz schön ziehen.

Die letzte Talfahrt mit der Bergbahn geht um 17:15 Uhr. Ein Blick auf die Uhr verrät, dass wir nur noch wenige Minuten hätten, um die Gondel zu erreichen. Der Weg über den langen Sattel zurück ist jedoch noch mal mit einer Stunde ausgeschrieben. Unmöglich das zu schaffen. Ich stelle mich innerlich auf den Abstieg bis ins Tal ein. Knapp 2.000 Höhenmeter geht es dann also nochmal zu Fuß bergab. Na gut. Hilft ja nichts. Durch die Wolken am Anfang sind wir einfach zu spät gestartet.

Immerhin sind wir nicht alleine unterwegs. Mit jedem Schritt nähern wir uns genau dem Stadtleben, das wir eben von oben noch aus der Ferne betrachtet haben. Geschäftsmänner haben die Laufschuhe geschnürt, Angestellte ihren Hintern aufs Fahrrad geschwungen. Es scheint, als sie die ganze Stadt auf den Beinen, um aktiv in den Feierabend zu starten. Und auch wir kommen unserem persönlichen Bergfeierabend näher… Zum Glück.

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