6/101: Bergtour zu den Geislerspitzen über die Seceda

Die Geislergruppe ragt hinter der Seceda schroff in die Höhe. Die Felstürme sind durch Instagram und Co. mittlerweile weltbekannt. Denn an der Seceda in Val Gardena/Gröden ist einer der berühmtesten Fotospots der Dolomiten. Noch näher kommen aber nur die wenigsten heran. Ich aber will näher heran. Ich will auf die Spitzen hoch, die dahinter so imposant aufragen. Mein Ziel ist die Kleine Fermeda in der Geislergruppe.

Los geht’s mit dem obligatorischen Foto

Von St. Ullrich aus geht es mit der Seilbahn zur Seceda nach oben. Schroff ragt die Felswand vor mir auf. Sobald wir die Kante überwinden, bleibt mir vor Staunen der Mund offen stehen. Ich blicke zuerst nach rechts. Sehe den Langkofel, um dessen spitze Felstürme die Wolken gleiten. Dann lasse ich die Augen auf die andere Seite schweifen. Dort in der Ferne liegt die Geislergruppe.

Ein großes Schild mit der Abbildung einer Kamera weist uns den Weg zum bekannten Fotospot. Von der Seilbahnstation sind es nur knapp 10 Minuten Fußweg. Das Panorama ist von hier schon richtig gut. Kaum vorstellbar, dass das noch eindrucksvoller werden soll. Trotzdem wird es noch eindrucksvoller. Wir überwinden den Kamm, steigen zum Schluss ein paar Meter ab und ich blicke auf die steinernen Felswände, auf die Abbruchkante der Seceda und auf die beeindruckenden Felsnadeln im Hintergrund. Wow. Einfach nur wow!

Felix zückt die Kamera, ich stelle mich auf. Das Motiv ist bekannt. In meiner Instagram-Timeline habe ich das schon einige Male gesehen. So ein Foto will ich auf jeden Fall auch haben. Begeistert grinse ich in die Kamera. Ich bin wirklich ein bisschen überwältigt. Dieser Ort ist was ganz besonderes.

Nur für Kletterer

Aber der Fotospot ist ja nur der Beginn der Tour. Wir wollen ja eigentlich ein Stück weiter hoch. Wir wollen auf die Kleine Fermeda in der Geislergruppe klettern. Die sehen wir von Weitem auch schon. Sie ist einer der Felstürme, die so aussehen, als käme man da niemals hoch. Ich schlucke innerlich. Dann reiße ich mich zusammen. Ich bin hier schließlich, um die Natur zu erleben und nicht nur zum Fotos schießen. Also los geht’s!

Der schmale Wanderpfad führt direkt an der Kante der Seceda entlang. Ausflugsgäste mit Kameraequipment kommen uns entgegen. Einige haben ein Stativ unter den Arm geklemmt. Andere wechseln gerade das Objektiv der teuren Spiegelreflexkamera.

Das ändert sich an einem hölzernen Zaun. Ein Schild hängt daran. Darauf steht: „Nur für Kletterer.“ Das war’s. Danach haben wir den Weg für uns und sollten bis zum Abstieg keinem weiteren Menschen mehr begegnen. Verrückt, was ein paar hundert Meter für einen Unterschied machen können.

Die ersten Meter

Startpunkt:Seceda
Höhenmeter:450 m
Dauer:5 Stunden
Schwierigkeit:II – III UIAA
Einkehrtipp:Sofie Hütte

Wir legen den Klettergurt an. Begleitet werden wir heute von Martin, einem Bergführer aus St. Ullrich. Das beruhigt mich ein wenig. Denn die Wand, die vor mir in die Höhe geht, schaut nicht easy aus. Er spricht uns, oder vor allem mir, Mut zu. Das wird schon werden. Ich bin gespannt. Dann steigt er vor. Ohne zu zögern oder auch nur ansatzweise zu überlegen, spaziert er die Wand nach oben. Ich versuche mir die Bewegungen einzuprägen. Doch sobald ich selbst an der Reihe bin, ist das alles andere als einfach.

Ich bin aufgeregt. Meine Füße suchen nach Halt. Vertrauen den kleinen Tritten nicht so ganz. Auch die Hände krallen sich mehr oder weniger sicher fest. Ich zwinge mich dazu, ruhiger zu werden. Wenn ich mich reinsteigere, brauche ich gar nicht weiter zu gehen. So lege ich die ersten Meter in der Vertikalen dann auch einigermaßen erfolgreich zurück. Ob es noch steiler wird, will ich wissen. Auf jeden Fall, ist die Antwort.

Ich komme nicht weiter

Aber Martin macht das gut. Er bringt Ruhe hinein. Und mit jedem Meter, den ich anschließend überwinde, wächst mein Vertrauen in mich selbst. Ich meistere die folgenden Anstiege, die sich im IIer und IIIer-Bereich der Kletterskala ansiedeln, ohne größere Schwierigkeiten. Bin schon ein bisschen stolz auf mich, dass es mir plötzlich doch recht leicht fällt. Auch die Höhe ist erträglich.

Dann jedoch kommt der Kamin. Die sogenannte Schlüsselstelle, also die schwerste Stelle, der Tour. Martin steigt wieder vor. Spreizt die Beine weit auseinander. Ein Fuß sitzt an der einen Wandseite des Kamins. Der andere Fuß auf der anderen. Crazy. So klemmt er sich darin fest und geht weiter nach oben.

Als ich mich an dieser Stelle versuche, komme ich nicht weiter. Ich stecke fest. Weiß nicht, wo ich meine Füße hinstellen soll. Versuche mit meinen Händen weitere Griffe zu finden. Ich kann das Martin nicht einfach nachmachen. Zu groß ist die Angst, dass ich doch abrutsche. Er rettet mich schließlich aus der Situation, in dem er mir einen Alternativweg nebenan aufzeigt. Dort komme ich dann doch noch weiter. Glück gehabt. Schließlich ist der Gipfel nicht mehr weit und es wäre schade gewesen, an dieser Stelle so kurz vor dem Ziel zu scheitern.

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Gipfelsieg und Dankbarkeit

Das letzte Stück ist dann wieder einfacher. Mein Selbstvertrauen kommt zurück. Und dann legen wir die fehlenden Meter über den Grat zu einem kleinen Gipfelplateau zurück. Geschafft. Abklatschen. Durchatmen. Aussicht genießen.

Krass! Von unten hätte ich nie gedacht, dass ich in der Lage sein würde, auf eine der Geislerspitzen aufzusteigen. Und jetzt stehe ich tatsächlich hier oben, lasse den Blick über Sellastock, Langkofel, Marmolada und Rosengarten schweifen. Blicke auf der anderen Seite in Richtung der österreichischen Alpen und genieße die Einsamkeit hier oben. Ehrfurcht macht sich breit. Ich bin dankbar, dass ich hier stehen darf. Dankbar, dass ich den berühmten Fotospot der Seceda aus der Vogelperspektive anschauen kann. Dankbar, dass ich mit so einer Erfahrung nach Hause fahren werde.

Anstoßen & Genießen

Der Rückweg ist schneller. Die meisten Passagen lassen wir uns abseilen und machen dadurch schnell Höhenmeter. So bleibt es spannend bis zum Ende. Spannend, bis wir wieder festen Boden unter den Füßen haben. Als es dann aber so weit ist, atme ich durch. Ich bin heil hoch und auch wieder runtergekommen. Darauf müssen wir anstoßen.

Das sieht der Wirt der Sofie-Hütte, in der wir anschließend einkehren genauso. Ohne überhaupt zu fragen bringt er uns einen hausgemachten Gin Tonic. Den haben wir uns heute verdient, meint er. Ohja, denke ich im Stillen. Den haben wir uns heute wirklich verdient. Das war meine erste richtige Klettertour!

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